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Blumenkohlrevolution

Heute treffen der Aschermittwoch und Rosa Luxemburgs Geburtstag aufeinander. Mehr Zeichen für eine Zeit der Entgiftung geht kaum.


Am Aschermittwoch beginnt die grosse Fastenzeit. Sie dauert bis Ostersamstag. Von der gross angelegten Zeit des Verzichts während 46 Tagen sind gerade mal zwei davon fleischlos übrig geblieben. Die Menschen lassen sich eben ihr Schnitzel nicht wegnehmen, obwohl die Tradition zumindest für die Konservativen unter ihnen ein schlagendes Argument für den Schnitzelverzicht ist. Doch das war mal.



Gewechselte Seiten


Dieses «lustige» Lied ist Geschmacksache. Hinter ihm steckt eine sich konservativ darstellende Person. Ihren Namen an dieser Stelle nicht zu nennen, bringt wenig, denn auch das Lied selbst verhilft ihr zu mehr Aufmerksamkeit, als sie nach meinem Geschmack kriegen sollte. Diese Aufmerksamkeit erhielt sie neulich auch in meinem Heimatdorf Einsiedeln aus Protest gegen und inzwischen auch aus Zustimmung für sie. Daran wollte ich nicht teilhaben. Vorgestern hatte ich umso mehr Lust auf Einsiedeln und erinnerte ich mich, wie vor vier Jahren aus einem Fasnachtsumzug ein Protest wurde. Wie am 22. Februar 2025 ging es auch am 15. Februar 2021 darum, vor autoritären Systemen zu warnen. Der Unterschied zwischen den beiden Ereignissen: 2021 war es ein unbeabsichtigter und 2025 ein organisierter Protest: Und die Protestierenden haben die Seiten gewechselt. Autoritätsgegner:innen sind heute Autoritätsbefürworter:innen und umgekehrt.



Verdrehte Geschichten


Auch dieses «lustige» Lied ist Geschmacksache. Fairerweise nenne ich nun auch den Namen dieser Person nicht, die dahinter steckt. Sein damaliges Amt hat er hinter sich, sein neues hat er am 18. September 2024 angetreten. Ziel seiner Organisation ist die Förderung der Demokratie sowie der Schutz der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit in Europa. Eines der Ziele der Schnitzelverteidiger:innenorganisation ist, sich aus dem Ukrainekrieg herauszuhalten – primär, um sich dafür bejubeln zu lassen. Vor etwas mehr als hundert Jahren setzte sich eine Frau, deren politische Haltung nicht weiter von den Schnitzelretter:innen enfernt sein könnte, gegen den ersten Weltkrieg ein. Heute wird versucht, sie vor den Karren des Putinkriegs zu spannen – primär, um linke Ideen zu verteufeln. Dabei würde sie Putins Absichten entrüstet vom Tisch wischen und für den Frieden kämpfen. Sie war sich übrigens auch mit Lenin nicht einig.



Innerer Frieden


Rosa Luxemburg (* 5. März 1871; † 15. Januar 1919) – ihren Namen nenne ich gerne. Letztes Jahr widmete ich ihr am Tag der Arbeit keine Neuigkeiten. Trotz sozialdemokratischer Überzeugung weiss ich wenig über die Kämpferin für den Frieden im 20. Jahrhundert. Ähnlich erging es mir mit Bruder Klaus (* 21. März 1417; † 21. März 1487), dem Friedensstifter des 15. Jahrhunderts. Beide wirken über ihr Leben hinaus zum Beispiel mit der Rosa Luxemburg Stiftung und dem Förderverein Niklaus von Flüe und Dorothee Wyss. Bruder Klaus fastete 20 Jahre lang. Ich habe es bisher bloss auf eine neunmonatige fleischlose Phase geschafft. Dabei stärkt Fasten nicht nur die Abwehrkräfte, sondern schont auch die Vorräte und fördert die Selbstliebe. Letztere war die zentrale Absicht von Bruder Klaus: Ganz bei sich selbst und dadurch Gott am nächsten zu sein. Das machte ihn zu einem Ratgeber, der Frieden statt Krieg vermittelte. Sein spirituelles Vermächtnis, die politische Wirksamkeit des Einsiedlers, ist laut seinem Biographen Robert Durrer (* 2. März 1867; † 14. Mai 1934) nichts anderes als praktische Friedenspropaganda.



Beabsichtigter Blödsinn


Wie steht es nun aber um das weggenommene Schnitzel? Der Verzicht auf Fleisch ist das Sinnbild für weniger übermässigen Konsum, der allem Möglichen schaden kann: den Reserven, dem Klima, der Gesundheit, dem Verstand und natürlich dem Tier. Ein Schnitzelverzicht nimmt ausserdem niemandem was weg, sondern schenkt was – zum Beispiel die Erfahrung, sich ein Blumenkohlsteak zu kochen. Auch deshalb reiht sich die flammende Rede der Schnitzelverteidigerin ins Propagandagendre «Bullshit» ein. Der amerikanische Philosoph Harry G. Frankfurt schreibt dazu: «Bullshitter:innen interessieren sich nicht für Fakten, sondern für das, was für sie oder ihre Agenda nützlich ist.» Und weiter: «Bullshitter:innen wollen uns nicht über eine Tatsache täuschen, sondern über ihre Absicht.» Im Zentrum der Bullshit-Definition von Frankfurt stehe die Gleichgültigkeit gegenüber der Wahrheit, schliesst Matthias Zehnder im Wochenkommentar. Ich schliesse meinen Beitrag mit einem Rezept, das aus einem Schnitzel ein Steak, aus einem Verzicht eine Bereicherung, aus Angst Freude und aus Streit Frieden macht – eines, das verbindet statt polarisiert.



Die Blumenkohlrevolution war ein spontaner Protest in Litauen wegen steigender Lebensmittelpreise. Er begann mit dem Foto eines Kassenbons. Darauf stand, dass ein Kopf Blumenkohl 3 Euro 49 Cent kostet. Schnell entlud sich die Wut Zehntausender litauischer Facebook-Mitglieder über die explodierenden Lebensmittelpreise in ihrem Land. Es folgte ein dreitägiger Boykott der vier grossen Supermarktketten in Litauen.



NB:

Der Schweizer Bauernverband empfiehlt im Direktvertrieb einen Kilopreis für Blumenkohl von 6 Franken 30 Rappen bis 6 Franken 60 Rappen. Das Kilo Schnitzel kostet vom Kalb 34 bis 36 Franken und vom Schwein 25 bis 28 Franken. Nimmt man einem Menschen also ein Schweinsschnitzel weg, erhält er dafür vier Blumenkohlsteaks. Für ein weggenommens Kalbsschnitzel sind sogar fast sechs Blumenkohläquivalente erhältlich.



Komen


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