Heute startete ich meinen ersten Versuch, an einer Gemeindeversammlung ein Votum abzugeben. Es war sehr spannend, sehr anstrengend, sehr desillusionierend. Sehr wegweisend für mein Leben in der Gemeinde und mit den Menschen in Glarus.
Bild: Lando Rossmaier Architekten AG ETH SIA BSA
Es ging um den Linthsteg, eine Fussgänger- und Velobrücke über den Fluss, der Glarus und Ennenda voneinander trennt. Viel trennender noch ist der Strassenverkehr. Seinem Lärm entlang führt heute die Fuss- und Veloverbindung zwischen den beiden Ortsteilen. Attraktiv ist das nicht, gesund und sicher auch nicht.
Das Votum
Aus mehreren Gründen empfehle ich, dem Antrag des Gemeinderats gemäss Traktandum 5 unverändert zuzustimmen.
Ich empfehle das als jemand, der vor sechs Jahren in die Gemeinde Glarus gezogen ist, weil hier alles, was man braucht, in Geh- und Velodistanz erreichbar ist.
Zwar gäbe es einige mehr, aber ich konzentriere mich auf drei Punkte, die ich betone.
Der erste Punkt betrifft unsere Verlässlichkeit: Es geht um die Finanzierungszusage der SBB bezüglich Verlängerung der Unterführung am Bahnhof Glarus.
Diese Zusage haben wir erhalten, weil wir uns auf der anderen Seite dazu verpflichtet haben, das Gebiet Ennetbühls mit dem Linthsteg zu erschliessen. Ich bin der Ansicht, dass wir uns an Abmachungen halten. Nur so bleiben wir ein verlässlicher Partner. Schliesslich ist unser Ruf auch für andere Investitionsprojekte wichtig.
Wenn wir uns heute Abend nicht an unsere Abmachung halten, müssen wir der SBB 1,17 Millionen Franken zurückzahlen. Vielleicht verlangt auch der Kanton noch 780'000 Franken. Ich denke, die meisten von uns wollen nicht fast zwei Millionen Franken ausgeben für eine Erschliessung, die zu nichts führt.
Der zweite Punkt betrifft unsere Weitsicht: Es geht um die Ansicht, die Erschliessung sei Sache der Investoren.
Diese Investoren kennen wir heute noch nicht. Ich bin es jedenfalls nicht. Wenn wir das Gebiet zeitgemäss entwickeln wollen, müssen wir es Investoren so anbieten, damit sie ein Potenzial für solche zeitgemässe Bauprojekte sehen.
Zeitgemäss heisst, der Mehrbelastung im Verkehr Rechnung zu tragen. Damit der Autoverkehr möglichst wenig zusätzlich belastet wird, braucht es Wohn- und Arbeitsraum, der mit dem Langsam- und öffentlichen Verkehr gut erschlossen ist.
Genau hier setzt der Linthsteg an. Für diese Form der Erschliessung braucht es unsere Vorinvestitionen. Das wertet nicht nur das Bauland auf, das der Gemeinde gehört, sondern beeinflusst auch die Qualität der Bauprojekte, die eingereicht werden.
Abgesehen davon, kann und soll sich ein Investor durchaus rückwirkend an den Erstellungskosten beteiligen.
Der dritte Punkt betrifft unser Selbstbewusstsein: Es gibt Stimmen, die finden, der Linthsteg gehöre als Teil der kantonalen Veloroute vom Kanton gezahlt.
Der Kanton ist in diesem Fall kein Partner für uns, weil zuerst der Landrat und dann die Landsgemeinde nein zur Mitfinanzierung sagten. Vor allem aber handelt es sich um viel mehr als einen Teil der kantonalen Veloroute.
Der Linthsteg wird für Fussgänger und Velofahrer nicht nur zum einzigen Übergang zwischen Glarus und Ennenda ohne Bahnschranken, sondern gehört zu einem Weg, der nicht dem Strassenverkehr entlang führt. Es geht also auch um Sicherheitsaspekte für alle Verkehrsteilnehmer.
Und es geht um Lebensqualität. Stellen Sie sich den Schulweg zur Kantonsschule per Velo oder den Spaziergang mit dem Schatz vor, der über eine Brücke führt, die auch die Linth als Fluss ins Zentrum stellt.
Eine Brücke, die zur Landschaft passt und eine Umgebung mit schönen Plätzen und Naturräumen. Und stellen sie sich vor, im Alter oder mit Kindern zu Fuss vom Daheim in Ennetbühls ohne Umwege in die Innenstadt zu kommen.
Für diese Lebensqualität haben wir uns in den letzten vier, eigentlich sechs Jahren mehrmals, auch direkt oder indirekt an Gemeindeversammlungen, entschlossen.
Liebe Glarnerinnen und Glarner: Eigentlich wollen wir diese Entwicklung doch alle.
Ich finde, heute Abend sollte uns diese Zuversicht nicht verlassen. Aber wir sollten die Geduld verlieren. Wir sollten vernünftig sein und endlich das umsetzen, wofür wir uns schon lange entschieden haben.
Ich freue mich darum auf ein überzeugtes Ja von Ihnen. Ein Ja zur Lebensqualität für uns alle und für die, die noch dazukommen. Ein Ja, das dringend ist, weil es uns allen gut tut.
Das Resultat
Die Gemeindeversammlung beschliesst mit 283 zu 276 Stimmen die Rückweisung des Verpflichtungskredits von 2,2 Millionen Franken zur Erschliessung des Entwicklungsschwerpunktes Bahnhof Glarus/Ennetbühls.
Das ist noch lange nicht die Einzige Erkenntnis an diesem Abend. Die Versammlung war gut besucht, das Resultat einer grossen Mobilisierung – auch aus Kreisen, die dem Gemeinderat «mal so richtig die Knöpfe zu tun» wollten. So werde ich es am Tag darauf erfahren, wenn ich mit einem meiner «Gegner» des Vorabends einen Weihnachtsbaum aufstelle.
Andere Anträge des Gemeinderats hatten es auch schwer. Der Saal war rammelvoll, die Technik lief nicht einwandfrei und bei einzelnen Voten war das Gemurmel richtig laut. Auch bei meinem, doch ich war ohnehin sehr aufgeregt.
Und ich bin enttäuscht – nicht vom Nein dazu, wofür ich einstand, sondern von der orchestrierten Abschätzung eines Teils meiner Mit-Glarnerinnen und Mit-Glarner gegenüber dem Gemeinderat und dessen Anträgen.
Die Zukunft
Bis zu meinem nächsten Votum an einer Gemeindeversammlung wird es dreieinhalb Jahre gedauert haben. Es wird wieder um den Langsamverkehr und um die fast gleiche Summe gegangen sein.
Allerdings um eine Summe, die in die Gemeindekasse fliessen wird. Eine Summe aus einem Landverkauf für eine neue Strasse. Eine Summe, die ich zur Förderung des Langsamverkehrs einzusetzen empfohlen haben werde.
Meinen Antrag wird die Gemeindeversammlung wieder abgelehnt haben. Der Linthsteg wird immer noch nicht gebaut sein, obwohl es sich dreienhalb Jahre zuvor nur um eine Rückweisung – keine Ablehnung – handelte.
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