Gottfried Stutz
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- 1. März
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Aktualisiert: 7. März
Einen Monat lang jeden Mittwoch Landratssitzung – wenigstens hatte der Februar nur 28 Tage. Bei zwei meiner aufwändigen Voten ging es um 50 Franken weniger Sitzungsgeld.
An sich war es mir zuwider, mich dem Geld dermassen auszusetzen. Weil es um Grundsätzliches wie Chancengleichheit ging, musste ich es doch tun – der Sozialdemokratie, der Partizipation und mir zuliebe.
Am 5. Februar 2025 behandelten wir die Motion der FDP-Fraktion mit dem Titel «Änderung des Artikels 25 Absatz 1 der Verordnung über die Entlöhnung der Behördenmitglieder sowie des Staats- und Lehrpersonals (LohnV)».
Was auf dem Zettel stand, an den ich mich im Saal festhielt...
Frau Präsidentin Meine Damen und Herren Im Namen der SP-Fraktion beantrage ich «nicht überweisen». Vielleicht geht es Ihnen wie mir: Sie nerven sich über diese Motion, weil wir eigentlich nur die Faust im Sack machen können. Und weil es wichtigere Geschäfte gibt, für die es uns braucht. Das ist kein gutes Gefühl für unsere Arbeit im Landrat. Wir alle sitzen im gleichen Boot. Ich muss Ihnen unseren Stundenlohn also nicht vorrechnen, mache es aber trotzdem am Beispiel einer Landratssitzung, die locker zu zehn Stunden Aufwand führt – natürlich ohne Hemd oder Bluse bügeln. Ja, wir sind nicht zum Geldverdienen im Landrat. Für das sind 25 oder noch weniger Franken pro Stunde nicht geeignet. Klar ist aber auch, dass wir in diesen zehn oder mehr Stunden keiner anständig bezahlten Arbeit nachgehen können. Und Nein: Dieses Amt ist kein Hobby. Für ein Hobby muss man nämlich nicht gewählt werden. Es ist auch kein Hobby, weil wir alle geschworen oder gelobt haben, dieses Amt treu und gewissenhaft zu erfüllen. Auch die Motionäre schreiben von unserer besonderen Verantwortung. Ich finde, für diese Verantwortung braucht es keine Reduktion des Sitzungsgelds im Giesskannenprinzip. Das Sitzungsgeld ist für diejenigen unter uns besonders wichtig, die mit diesem Amt keine wirtschaftlichen Vorteile haben – oder sogar wirtschaftliche Nachteile in Kauf nehmen. Auch wenn es nur temporär 50 Franken sind: Das Signal dieser Motion ist problematisch. Schrauben wir das Sitzungsgeld herunter, ist es noch schwieriger, genügend Zeit für dieses verantwortungsvolle Amt zu haben. Und mit solchen Signalen stellen sich künftig noch weniger Menschen aus verschiedenen Umfeldern dafür zur Verfügung. Zu Ende gedacht, besteht unser Rat nur noch aus stark beruflich privilegierten Personen, was meinem demokratischen Verständnis widerspricht. Wird diese Motion trotzdem überwiesen, empfehle ich eine gerechtere Formulierung. Eine, die zum Beispiel den Verzicht auf Sitzungsgeld für Kolleg:innen ermöglicht, die ein hohes Einkommen haben – nach dem Prinzip der Selbstdeklaration. Danke, dass Sie sich nicht unter falschen Druck setzen lassen und diese Motion nicht überweisen.
Weil ich am 5. Februar 2025 verloren hatte, behandelten wir am 26. Februar 2025 die Änderung der Verordnung über die Entlöhnung der Behördenmitglieder sowie des Staats- und Lehrpersonals.
Das war nicht ganz so kämpferisch und selbstsicher in der Wirkung wie sie, doch nach dem SP-Parteitag vom 22. Februar 2025 in Brig war ich zum Glück von der Co-Präsidentin der SP, Mattea Meyer, inspiriert.
Was ich auf den Zettel geschrieben hatte, der mir im Saal Halt gab...
Frau Präsidentin Meine Damen und Herren Ich stelle keinen Antrag*. Aber ich habe etwas zu sagen. Zuerst bedanke ich mich bei allen, die durch dieses Geschäft zusätzliche Arbeit hatten. Nicht zuletzt gibt es aber was zu sagen, weil an unserer letzten Sitzung «mit Schalk» Ausdrücke aus der internationalen Politik wie «Deal Maker» und «Brandmauer» in unserem beschaulichen Saal landeten. Vermutlich fragen Sie sich, was das mit der Reduktion unseres Sitzungsgeldes zu tun hat. Ja: Bitte fragen Sie sich das! Ich helfe bei der Antwort und fange mit einer Wiederholung meines seinerzeitigen Votums zur ursprünglichen Motion an: Das Sitzungsgeld ist für diejenigen von uns besonders wichtig, die mit diesem Amt keine wirtschaftlichen Vorteile haben – oder sogar wirtschaftliche Nachteile in Kauf nehmen. Mit dem Signal der Reduktion können sich aber noch weniger Menschen aus verschiedenen Umfeldern zur Verfügung stellen. Zu Ende gedacht, besteht unser Rat nur noch aus stark privilegierten Personen. Zitat Ende. Stark privilegierte Personen übernehmen gerade überall auf der Welt die Macht. Diese Deal Maker räumen alles weg, was ihren autoritären Fantasien im Weg steht. Zum Beispiel demokratisch gefasste Regeln zu Arbeitsrechten, Umweltstandards, Vermögensverteilung und Menschenrechten. Und was machen wir so, während wir das Sitzungsgeld kürzen und noch weniger Menschen die Möglichkeit geben, dieses Amt zu bekleiden? Wir wollen Frauen im Landrat fördern, sistieren aber die Gleichstellungskommission und sparen das Geld dafür ein. Was sagen wir diesen Frauen? Ihr seid es euch ja gewohnt, wenig zu verdienen – also ist dieses Amt perfekt für euch! Wir lassen uns in den Schulunterricht vermitteln, ziemlich sicher ehrenamtlich. Was sagen wir den Schüler:innen? Suche dir einen Job, mit dem du gleichzeitig viel Geld verdienst und viel Zeit hast für ein Amt mit einem Lohn unterhalb des gesetzlichen Minimums! Wir beraten ein Gesetz zur Förderung der Selbstbestimmung und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Was sagen wir diesen Menschen? Wir schauen dann, was es kostet, wenn du in den Landrat willst! Finden Sie diese Beispiele übertrieben? Ich finde, ich versuche damit, in unserem beschaulichen Saal den Anfängen zu wehren. Weil der Deal gegen Brandmauern nämlich Vielfalt heisst. Darum also, meine Damen bis Herren, vielen Dank, dass Sie sich auch mit weniger Sitzungsgeld für Demokratie, Gerechtigkeit und Partizipation einsetzen.
*Davon ging ich bis am Vorabend aus. An der Sitzung selbst stellte ein Kollege aus einer anderen Fraktion einen Antrag, den ich im Saal unterstützen konnte.
Weil ich auch am 26. Februar 2025 verloren habe, rechne ich weiterhin mit allem.
Gottfried Stutz, gesprochen «Gopfridstutz», ist ein verbreitetes schweizerdeutsches Fluchwort. Es ist eine Variante der Fluchformel «Gopfertami», der Basler Studentensprache der 19./20. Jahrhundertwende entsprungen. Gut hundert Jahre später entstand die jüngste Variante: «Goppeletti», eine pseudoitalienische Kreation aufgrund der Verbreitung des Italienischen in der Schweiz durch die Arbeitsmigration.
NB:
Der Mindestlohn in der Schweiz ist nur in einigen Kantonen verbreitet und dort von Kanton zu Kanton unterschiedlich. So sind es in Genf 24 oder in Basel-Stadt 21 Franken und hat die Stimmbevölkerung im Kanton Zürich am 18. Juni 2023 einem Mindestlohn von 23,90 Franken pro Stunde zugestimmt.
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