Öfter habe ich keinen gesehen und besser keinen in seiner Originalsprache verstanden. Er ist eine Zelebration in sich, und ich nutzte ihn selbst als Ritual, bis es dann mal gut war mit ihm.
Bis jetzt dachte ich das zumindest. Der Soundtrack dringt gerade wieder in meine Playlist. Das Gefühl dazu grübelt sich seit einem Jahr aus den Tiefen meines Herzens ins Epizentrum meiner Gefühlswelt. Lange kann ich auch dem Film nicht mehr aus dem Weg gehen.
Die erste grosse Zürcher Liebe
«Trainspotting» basiert auf dem gleichnamigen Buch (1993) von Irvine Welsh. Als der Film von Regisseur Danny Boyle 1996 herauskam, war ich 23 Jahre alt, wohnte in Einsiedeln und arbeitete seit zwei Jahren in Zürich. An meinem Arbeitsort präsentierte sich die Stadt von ihrer perfekten Seite direkt am Zürichsee.
Nur wenig weiter limmatabwärts zeigte sich die Stadt ganz anders. Mit der Räumung des Letten-Areals endeten 1995 zwei Jahrzehnte der offenen Drogenszene. Damals lernte ich meine grosse Liebe kennen. Zwar nicht am Letten, aber Heroin war trotzdem im Spiel. Die Droge spielte aber nicht die Hauptrolle, obwohl es danach aussah.
Ich erinnere mich noch genau an unser erstes Date. Da stand ein schlanker Typ mit Lederjacke und Jeans vor mir. Ich war sofort verknallt. Wir tranken was in einem Restaurant und gingen später zu ihm. Er war anders als alle, die ich kannte. Von da an wollte ich nur noch mit ihm Zeit verbringen.
Das grosse Kino der Gefühle
Dass das so nicht geht, wurde schnell klar. Es war mir zwar nicht egal, aber nur weil er Heroin nahm, wollte ich nicht auf diese Liebe verzichten. Ich war verknallt wie noch nie und begegnete einer Emotionalität in mir, wie ich sie vorher nicht kannte. Das gefiel mir, machte mich lebendig, wollte ich nie mehr missen, war meine Sucht.
So richtig mochte er meine Begeisterung für «Trainspotting» nicht teilen. Für mich war der Film ein Weg, ihn zu verstehen. Denn ich traf ihn nur nüchtern. Das wollte er so und führte dazu, dass für mich ziemlich lange Sequenzen entstanden, in denen wir uns nicht trafen.
Wenn er abstürzte, war ich also auf Entzug. Doch ich schaffte es auch in seiner Abwesenheit, meine Liebe zu ihm aufzusaugen und parallel zu ihm abzustürzen. Die Angst davor, ihn während der Abwesenheit zu verlieren, trieb mich in eine Mischung aus Begehren und Verzweiflung. Das machte mich ziemlich schwach, obwohl ich eigentlich ziemlich stark war.
Das Feuer lässt das Eis kalt
Die Beziehung dauerte vier Jahre. Sie war für mich sehr romantisch und sehr aufwändig. Für ihn vermutlich auch. Wir trennten uns immer wieder. Das hinderte mich aber nicht daran, ihn zu lieben, mich nach ihm zu sehnen, darauf zu hoffen, dass es weitergeht.
Der Ablauf war immer gleich: Je mehr Abstand er brauchte, desto näher wollte ich ihm sein. Mir kam es vor, als ob ich mit meinem Feuer das Eis, das ihn in meiner Wahrnehmung umschloss, zu schmelzen versuchte. Das war ihm zu heiss, hielt ihn auf noch mehr Abstand. Zu ihm fand ich erst wieder, wenn sich mein Feuer abgekühlt hatte und ich wieder ich war.
Sobald das Feuer erneut loderte, schlug mir seine Distanz wieder gefühlt eiskalt entgegen. Dann wurde es ihm wieder zu heiss mit mir. Dann stürzte nicht zwingend er, aber sicher ich ab. So musste es ihm vorkommen, er sei schlecht für mich. So konnte er mir nicht helfen.
Das Gefühl weicht der Ratio
Eines Tages war wieder Schluss. Dieses Mal war ich es, der sich dafür entschlossen hatte. Ich tat am nächsten Tag, was ich schon lange tun wollte: Ich fotografierte die Stadtzürcher Buslinie 33 zu Fuss vom Bahnhof Tiefenbrunnen bis ins Morgental.
Dieses Mal war die Trennung endgültig. Danach fühlte ich mich stark und frei – retrospektiv nenne ich es nüchtern. Ich wollte (musste) von meiner Sucht nach der Liebe zu ihm herunterkommen, und es gelang mir.
Bald danach verliebte ich mich in einen anderen Mann. Auch er ging auf Distanz, weil er auswanderte. Das führte zum schnellen Abbruch der möglichen Liebesbeziehung und zur Erkenntnis, dass ich die Verantwortung für meine Gefühle die Jahre zuvor auf das Heroin abgewälzt und mich selbst nicht reifen gelassen hatte.
Ab dann liess ich mich bei Liebesbeziehungen auf Männer ein, die mir zuerst näher kamen – also mir den Hof machten – und die ich auf Distanz halten konnte, ohne sie zu verlieren. Die Emotionalität trat dadurch etwas in den Hintergrund. Dadurch fühlte sich die Liebe zwar anders, aber nicht weniger wert an.
Vom Fliegen ins Tauchen
Fast 30 Jahre später beginnt die Emotionalität von damals wieder in mir aufzutauchen. Seit bald einem Jahr kehre ich deswegen immer wieder an den Ort zurück, der mich an einen Moment erinnert, in dem mein Feuer loderte und sein Eis brach. Oder: In dem jeder bei sich und deshalb beide beieinander waren.
Kommt dieses Gefühl wieder (und das tut es), habe ich weder Lust noch sehe ich den Sinn darin, darauf zu verzichten, nur weil ich noch nicht gerlernt habe, damit umzugehen. Damit, auf die Distanz des anderen mit der Nähe zum anderen zu reagieren und mich dabei zu verlieren, statt bei mir zu bleiben.
Bei mir bleiben, heisst die Emotionalität zuzulassen, vom Gegenüber kein Verständnis dafür zu erwarten und sie mir vom Gegenüber auch nicht verbieten zu lassen. Denn sie macht mich lebendig – mit ihr kann ich sowohl fliegen als auch tauchen, mich spüren und bei mir sein.
i flüge gärn; i bi geng gärn gfloge knapp über em bode oder ganz, ganz höch obe aber irgendeinisch i schwümme; i la mi gärn la tribe i mues geng grad no chli witergah, i ma nie zlang blibe aber irgendeinisch mir isches gliich, mi nimmt's gar nid wunder öbi mau nümm obenabe chume oder undergah i touche Aus dem Lied «Toucher» von ZüriWest
Geflogen bin ich damals auch mit meiner grossen Liebe. An seinem Gleitschirm, einer anderen Sucht, die wir miteinander teilen konnten. Zwar wäre ich ihm meistens lieber an die Wäsche gegangen, statt stundenlang einen Startplatz zu suchen und nochmals stundenlang in der Luft zu hängen. Aber es war einfach nur schön, mit ihm zusammen zu fliegen. Einmal stürzten wir sogar gemeinsam ab und blieben in einem Baum stecken.
Getaucht bin ich damals immer alleine und habe mich dabei selbst auf dem verzweifelten Weg zu ihm verloren. Dabei hat auch das Tauchen seine Qualität, weil es auf den Grund geht und zu sich selbst führt, manchmal auch erst beim Auftauchen.
Keine Angst vor der Angst
Nicht ganz ohne Hilfe von aussen entdecke ich gerade den Schlüssel zum Umgang mit der Verlustangst, die sich mit meiner Emotionalität in mir einschleicht. Es ist zwar noch gewöhnungsbedürftig, aber ich fühle mich mal da durch, was ich gerade von ebenso unerwarteter wie total passender Seite geschenkt erhalten habe:
Es geht nicht darum, meine Verlustangst zu verlieren. Es geht darum, mich nicht mehr gegen mich zu verhalten, aus Angst etwas oder jemanden zu verlieren. Im Grunde geht es bei der Verlustangst darum, dass ich Angst habe, mich selbst zu verlieren. Wenn ich mich wegen jemandem verbeuge, verleugne, nicht nach meinem Inneren lebe, dann habe ich mich verloren.
Meine Verlustangst kommt nicht, weil sich jemand so verhält, wie er oder sie sich eben verhält. Sie kommt, weil ich mich so verhalte, wie ich mich eben verhalte. Darum wird sie sich beruhigen, wenn ich wieder zu mir zurückkehre, selbst wenn das Aussen sich von mir abwendet. Ich bleibe bei mir, bleibe mich und werde meine tiefste Verlustangst in dem Moment loslassen können.
Wo verhalte ich mich in dieser Situation nicht so, wie ich es tun will?
Wo mache ich etwas, das ich eigentlich nicht tun wollen würde?
Wo mache ich etwas nicht, obwohl ich es tun wollen würde?
Wenn ich das erkenne und mich dann so verhalte, wie es mir wirklich entspricht, dann komme ich zurück zu mir. Da gehöre ich hin.
Wenn ich gerade nicht erkennen kann, wo ich gegen mich gehe, dann mache ich mir bewusst, wie ich mich verhalte und tue dann das Gegenteil davon.
Meine Verlustangst wird immer wieder kommen. Und zwar immer dann, wenn ich wieder daran bin, mich selbst zu verlieren. Und das ist gut so.
Damit sollte es mir eigentlich gelingen, vom Herankommen an andere herunterzukommen – und auf dem umgekehrten Weg vom Tauchen wieder ins Fliegen zu kommen. Ob es mir gelingt, wird sich zeigen. Passieren kann mir dabei jedenfalls nichts, wovor ich Angst haben müsste.
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