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Massenweise Mängel beheben

Diese Woche ist meine zweite Politkolumne «zur Debatte» in den Glarner Nachrichten erschienen. Dieses Mal geht's um Fachkräfte – hier gibt's zusätzlich die Gedankenwelt drumherum.


«Fachkräfte» ist auf der einen Seite ein starkes Wort – immerhin enthält es Kraft. Auf der anderen Seite wirkt es ziemlich versachlichend, genauso wie «Arbeitskräfte». Dabei geht es eigentlich um Menschen.



Mit der Gewerkschaft aufgewachsen


Mein Vater engagierte sich für Arbeiterinnen und Arbeiter. Er war Präsident mehrer Sektionen der Gewerkschaft Verkauf, Handel, Transport, Lebensmittel VHTL.


Seine Leidenschaft entsprang dem Aspekt Transport: Er war Lastwagen-Chauffeur. Ich kannte ihn als Maschinist, wenn er zur Arbeit in den Steinbruch fuhr, und als Gewerkschafter, wenn er Versammlungen und Geschicklichkeitsfahren organisierte.


Aktuell wird der Fachkräftemangel stark mit dem Gesundheitswesen verbunden. Während der Pandemie wurde uns bewusst, dass wir nicht nur genug Betten brauchen, sondern auch genug gesunde Menschen, um viele kranke Menschen zu pflegen.


So richtig genützt hat die Erkenntnis nicht. Die Belastungsgrenze ist überschritten; die Angestellten machen nicht mehr mit.



Meine Schwester war Fachkraft im Gesundheitswesen. Mit ihr würde ich mich gerne über den Fachkräftemangel unterhalten, wäre sie noch am Leben. Auch mit meinem Vater würde ich mich gerne darüber unterhalten, wäre er noch am Leben. Schliesslich geht es längst nicht «nur» um das Gesundheitswesen. Fachkräfte fehlen an den Schulen, in der Gastronomie, in Industrie und Gewerbe – einfach überall.


Dort, wo wir sie am dringendsten brauchen, verdienen sie latent besonders wenig. Zum Beispiel bei der Versorgung – also im Verkauf, im Handel, im Transport und bei den Lebensmitteln. VHTL schloss sich übrigens 2004 der Grossgewerkschaft UNIA an.


Immer das Gleiche


Während der Pandemie wurde der Ausdruck «systemrelevant» en vogue. Inzwischen erhält man ein müdes Lächeln, wenn man ihn benutzt. Nur um der Diskussion darüber aus dem Weg zu gehen, was systemrelevant ist – also was wir für ein gutes Leben brauchen.



Eine der beliebtesten Antworten auf den Fachkräftemangel sind ausländische Arbeitskräfte. Menschen, in deren Ausbildung andere Länder investiert haben. Menschen, die in die Schweiz kommen, um unsere Bedürfnisse zu decken. Menschen, die dann als politische Munition an Überbevölkerung und Klimawandel schuld sein sollen.


Neu und nur schweizerisch ist das Phänomen nicht. Max Frisch benannte es so: «Wir riefen Gastarbeiter, und es kamen Menschen.» Frisch fragte sich auch, warum er Schriftsteller war: «Um die Welt zu ertragen, um sich selbst standzuhalten, um am Leben zu bleiben.»



Grundsatzdiskussion führen


Über diese Gedanken bin ich zur Kolumne gekommen, die am 17. Februar 2023 in den «Südostschweiz Glarner Nachrichten» erschienen ist. Ich habe sie als Mitglied der Geschäftsleitung der SP Kanton Glarus veröffentlicht.


Aus weniger mehr machen


Arbeit, Boden und Kapital sind die betrieblichen Produktionsfaktoren. Ohne Fachkräfte (Arbeit), ohne natürliche Ressourcen (Boden) und ohne Geld (Kapital) geht nichts. Das ökonomische Prinzip fordert deshalb den effizienten Einsatz aller drei Faktoren. Was uns der Zeitgeist lehrt, sieht anders aus.


Es fehlen Fachkräfte noch und noch und wir schröpfen klimaschädliche Rohstoffe ohne Ende. Nur Geld scheinen wir genug zu haben: Mit diesem versuchen wir die Vernachlässigungen bei den anderen Faktoren wettzumachen. Allzu lange geht das nicht mehr gut. Alleine mit Lohnerhöhungen sind die Arbeitsbedingungen nicht besser; alleine mit höheren Energiepreisen oder Abgaben ist der Klimawandel nicht vom Tisch.


Um die Arbeitsbedingungen attraktiver zu gestalten, in bessere Ausbildung und einheimische Energie zu investieren und sich vor den Folgen des Klimawandels zu schützen, braucht es mehr Geld von denen, die für die Krisen verantwortlich sind oder anderweitig davon profitieren. In der Schweiz sind das der Rohstoffhandel, der Finanzplatz, Teile der Industrie und Grossanleger.



Umverteilung und Fairness sind also gefragt – oder haben wir etwa noch andere Optionen, um Arbeit, Boden und Kapital in Einklang zu bringen? Vielleicht das Herunterfahren der Produktion? Ein ziemlicher Stress in einem System, das auf Wachstum ausgerichtet ist. Dahinter steckt aber die zentrale Frage: Was brauchen wir Menschen an Grundversorgung, um ein gutes Leben zu führen? Wenn wir uns darüber – also ein gutes Gesundheits- und Bildungswesen, ein zukunftsfähiges Mobilitätsangebot, ein unabhängiges Energiesystem und eine verlässliche Versorgung – im Klaren sind, wissen wir, was uns das kostet. Gerechterweise dürfte das Geld dafür von den Krisenverursachern und -gewinnern kommen.


Bis es soweit ist, müssen wir dem sozialen Frieden Sorge tragen. Dazu braucht es eine Stabilisierung der frei verfügbaren Einkommen auf einem menschenwürdigen Mindestmass (z.B. mit Prämienverbilligung und Mietpreisaufsicht). Dazu braucht es Sofortmassnahmen im Gesundheits- und Bildungswesen, aber auch in der Privatwirtschaft (z.B. bessere Ausbildung, attraktivere Arbeitsbedingungen). Und dazu braucht es weniger nicht lebensnotwendige Produkte und weniger klimaschädliche Angebotsvarianten in Bereichen wie Mobilität, Energie oder Lebensmittel. Dann werden Menschen als Fachkräfte frei für Jobs, die es für ein gutes Leben braucht. So machen wir aus weniger tatsächlich mehr.



Aufklärung ist nicht Geschichte


Bisher habe ich zwei Feedbacks zur Kolumne erhalten. Eines lautete «inspirierend» und ein anderes «sophisticated». Vermutlich schiesst durch den einen oder anderen Kopf «abgehoben» oder «ideologisch». Drum gibt's als Digestif noch etwas von Max Frisch.



Die Wenigsten werden die Rede des damals 75-Jährigen durchhören. Obwohl unter anderem das, was er zum Schluss sagt, grandios ist und von Voltaire stammt:


«Man endet notwendigerweise damit, seinen Garten zu bestellen. Alles übrige mit Ausnahme der Freundschaft hat wenig Bedeutung. Ja, auch seinen Garten zu hegen, hat wenig Bedeutung.» Max Frisch zitiert Voltaire an den Solothurner Literaturtagen 1986 und unterstreicht vier Wörter daraus.

Diese und die weitere Erkenntnis, dass bald niemand mehr liest, führten die dreizehnte Fee zur Serie «Rot wie die Liebe». Sie startete am 8. Januar mit dem treffenden Song dazu.



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